Kapitel 1
WIE EIN TRAUM
FIGUREN AUS DEM
FRÜHWERK
Kapitel 1
WIE EIN TRAUM
FIGUREN AUS DEM
FRÜHWERK
Geheimnisvolle Gestalten, schlaksige Beine, verzerrte Proportionen, „Typen“ aus vergangenen Zeiten. Auf spielerische Art eindringlich und grotesk: Das ist die Bildsprache Lyonel Feiningers.
Feininger beginnt seine Künstlerkarriere als Karikaturist. Sein Fachwissen in diesem Genre verleiht seiner figurativen Bildsprache einen humoristischen Einschlag und unverwechselbaren Stil. Besonders inspiriert ist er von japanischen Holzschnitten und den Plakaten des französischen Künstlers Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901), vor allem von der Flächigkeit der Silhouetten. Feiningers Figuren sind keine Individuen, sondern „Typen“ wie Arbeiter oder Frauen in extravaganter Garderobe, deren Mode aus der Zeit gefallen wirkt. Zum Beispiel tragen viele seiner männlichen Figuren Zylinderhüte. Die Figuren sind nicht statisch, sie befinden sich stets in Bewegung.
Erschienen in: Le Témoin I, Nr. 6, 24. November 1906
Erschienen in: Le Témoin I, Nr. 6, 24. November 1906
Mit seiner zukünftigen Frau, der Künstlerin Julia Berg (1880–1970), geht Feininger 1906 nach Paris, die lebendigste Kunststadt Europas. Sie ermutigt ihn, eine neue Karriere als Maler zu beginnen. Feininger arbeitet weiterhin als Karikaturist für die Zeitschrift „Le Témoin“ und zeichnet eine schlaksige Figur, die zur Vorlage für sein erstes malerisches Hauptwerk wird: „Der weiße Mann“ (1907). In dessen überlanger Gestalt steckt auch ein Selbstporträt Feiningers. Der Künstler bleibt sein Leben lang ein exzessiver Zeichner und arbeitet manchmal Monate oder Jahre später an Gemälden, deren Motive auf frühere Skizzen zurückgehen.
Fünf kostümierte Figuren eilen nachts durch eine märchenhafte Stadt, anscheinend auf dem Weg zu ausschweifenden Festivitäten. Das Gemälde „Karneval“ gehört zu Feiningers „Mummenschanz“-Serie. Der Mummenschanz ist ein Spektakel mit ausgelassenem Treiben und Kostümierung. Die Teilnehmenden tragen dabei Masken, damit sie sich frei verhalten können und doch anonym bleiben. Durch seine Erfahrung als Karikaturist übersteigert Feininger hier die Realität und offenbart in diesem Werk sein Interesse für historische europäische Architektur. Obwohl die karnevalesken Typen unterschiedlich gestaltet sind, eint sie eine diagonal angelegte Körperhaltung, in der sie im Gleichklang vorwärtsstreben. Durch die Untersicht erzeugt Feininger eine Bilddynamik, die den Blick fesselt.
Fünf kostümierte Figuren eilen nachts durch eine märchenhafte Stadt, anscheinend auf dem Weg zu ausschweifenden Festivitäten. Das Gemälde „Karneval“ gehört zu Feiningers „Mummenschanz“-Serie. Der Mummenschanz ist ein Spektakel mit ausgelassenem Treiben und Kostümierung. Die Teilnehmenden tragen dabei Masken, damit sie sich frei verhalten können und doch anonym bleiben. Durch seine Erfahrung als Karikaturist übersteigert Feininger hier die Realität und offenbart in diesem Werk sein Interesse für europäische Städte und mittelalterliche Historie. Obwohl die karnevalesken Typen unterschiedlich gestaltet sind, eint sie eine diagonal angelegte Körperhaltung, in der sie im Gleichklang vorwärtsstreben. Durch die Untersicht erzeugt Feininger eine Bilddynamik, die den Blick fesselt.
Japanische Holzschnitte, die Szenen aus dem Alltagsleben ebenso wie mythische Begebenheiten mit Dämonen und Geistern zeigen, erfreuen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonderer Beliebtheit. Sie werden in dieser Zeit „ukiyo-e“ (dt. Bilder der fließenden Welt) genannt. In dem Druck mit dem Titel „Emma’ō“ von Utagawa Kuniyoshi (1798 – 1861) urteilt der König der Unterwelt nach dessen Tod über den Schauspieler Ichikawa Danjuro VIII. Die Figuren in den „ukiyo-e“ sind immer von schwarzen Linien umrahmt und in kräftigen Farben ausgeführt, jedoch ohne eindeutige Lichtquelle oder Schattierungen und wirken somit flach. Im Gemälde „Karneval“ setzt Feininger ebendiese visuellen Techniken ein und verbindet Motive aus der Realität mit dem Märchenhaften.
Henri de Toulouse-Lautrec war Gestalter von Plakaten für das berühmt-berüchtigte Pariser Cabaret „Moulin Rouge“. Die Darstellung zeigt zwei der größten Stars des Hauses: die titelgebende „La Goulue“ − der Künstlername von Louise Weber − und ihren Tanzpartner Valentin le Désossé. In den Konturen der Figuren und den flächig eingesetzten Farben erkennt man den Einfluss japanischer Holzschnitte auf Toulouse-Lautrecs Ästhetik. Im Gegensatz zu deren geringer Tiefe weist sein Plakat jedoch einen eindeutigen Vorder-, Mittel- und Hintergrund auf sowie ein Spiel mit Licht und Schatten. Vergleichbar mit Feiningers Gemälde „Karneval“ sind die reduzierte Farbpalette, die Flächigkeit der Figuren und die Perspektive.
Japanische Holzschnitte, die Szenen aus dem Alltagsleben ebenso wie mythische Begebenheiten mit Dämonen und Geistern zeigen, erfreuen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonderer Beliebtheit. Sie werden in dieser Zeit „ukiyo-e“ (dt. Bilder der fließenden Welt) genannt. In dem Druck mit dem Titel „Emma’ō“ von Utagawa Kuniyoshi (1798 – 1861) urteilt der König der Unterwelt nach dessen Tod über den Schauspieler Ichikawa Danjuro VIII. Die Figuren in den „ukiyo-e“ sind immer von schwarzen Linien umrahmt und in kräftigen Farben ausgeführt, jedoch ohne eindeutige Lichtquelle oder Schattierungen und wirken somit flach. Im Gemälde „Karneval“ setzt Feininger ebendiese visuellen Techniken ein und verbindet Motive aus der Realität mit dem Märchenhaften.
Henri de Toulouse-Lautrec war Gestalter von Plakaten für das berühmt-berüchtigte Pariser Cabaret „Moulin Rouge“. Die Darstellung zeigt zwei der größten Stars des Hauses: die titelgebende „La Goulue“ − der Künstlername von Louise Weber − und ihren Tanzpartner Valentin le Désossé. In den Konturen der Figuren und den flächig eingesetzten Farben erkennt man den Einfluss japanischer Holzschnitte auf Toulouse-Lautrecs Ästhetik. Im Gegensatz zu deren geringer Tiefe weist sein Plakat jedoch einen eindeutigen Vorder-, Mittel- und Hintergrund auf sowie ein Spiel mit Licht und Schatten. Vergleichbar mit Feiningers Gemälde „Karneval“ sind die reduzierte Farbpalette, die Flächigkeit der Figuren und die Perspektive.
„… dafür bin ich, daß ich solche Phantasien habe, eben Karikaturist, ein Mensch, der alles stärker empfindet als die vorgeschriebene Norm.“
LYONEL FEININGER –1905
„… dafür bin ich, daß ich solche Phantasien habe, eben Karikaturist, ein Mensch, der alles stärker empfindet als die vorgeschriebene Norm.“
LYONEL
FEININGER–1905
Feininger arbeitet mehrere Jahre als erfolgreicher Karikaturist in Berlin, unter anderem für die Zeitschrift „Lustige Blätter“. Da seine Zeichnungen oft einen tagesaktuellen politischen Bezug haben, erschließt sich ihre Bedeutung heute nicht immer. Die Farblithografie „St. Louis“ thematisiert die Weltausstellung, die 1904 in St. Louis, Missouri, stattfindet – eine internationale Messe, auf der die teilnehmenden Staaten ihre aktuellen Errungenschaften vorstellen. Zur besagten Weltausstellung 1904 inszeniert Deutschland unter anderem aufwendige Bauten und präsentiert Jugendstilmöbel. Die deutsche Teilnahme ist mit hohen Kosten verbunden, daher zeigt die Freiheitsstatue in der ironischen Lithografie eine lange Rechnung und verlangt von dem aus dem Schatten zu ihr aufblickenden deutschen Besucher Eintritt.