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Das Digitorial zur Ausstellung
HARMONIE und
DISSONANZ

LYONEL

FEININGER

HARMONIe
und DISSONANZ

LYONEL

FEININGER

Digitorial zur Ausstellung

Kristalline Bauwerke, prismatische Strukturen, klare Linien, aber auch groteske Figuren und märchenhafte wie melancholische Stadtansichten

– das Interessenspektrum Lyonel Feiningers ist vielseitig, originell, bisweilen sogar widersprüchlich. SCHEINBAR GEGENLÄUFIGE TENDENZEN PRÄGEN SEINE KÜNSTLERISCHE HANDSCHRIFT. SIE SIND UNTRENNBAR MIT SEINEM GESAMTWERK VERBUNDEN.

Feininger ist Meister aller Techniken – von der Karikatur über Malerei bis zum Holzschnitt. Zudem hinterlässt er ein umfangreiches fotografisches Werk.

Wie das alles zusammenpasst, erfahren Sie im Digitorial zur Ausstellung.

Leo, Selbstporträt, 1912

Nachdenklich und etwas skeptisch blickt Lyonel Feininger (1871–1956) in diesem Selbstporträt sein Gegenüber an. Wenige Linien und Schraffuren reichen aus, um seine Gesichtszüge plastisch wirken zu lassen. Zum Zeitpunkt, als diese Zeichnung entsteht, lebt der gebürtige US-Amerikaner bereits seit 25 Jahren in Deutschland. In New York geboren und in Manhattan aufgewachsen, kommt der junge Feininger im Alter von 16 Jahren nach Deutschland mit der Absicht, Musik zu studieren. Anders als geplant nimmt er jedoch Zeichenunterricht an der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg und wechselt dann, seinem Weg in die Kunstwelt weiter folgend, an die Königliche akademische Hochschule für die bildenden Künste in Berlin.

Kapitel 1

WIE EIN TRAUM

FIGUREN AUS DEM

FRÜHWERK

Kapitel 1

WIE EIN TRAUM

FIGUREN AUS DEM

FRÜHWERK

Geheimnisvolle Gestalten, schlaksige Beine, verzerrte Proportionen, „Typen“ aus vergangenen Zeiten. Auf spielerische Art eindringlich und grotesk: Das ist die Bildsprache Lyonel Feiningers.

Feininger beginnt seine Künstlerkarriere als Karikaturist. Sein Fachwissen in diesem Genre verleiht seiner figurativen Bildsprache einen humoristischen Einschlag und unverwechselbaren Stil. Besonders inspiriert ist er von japanischen Holzschnitten und den Plakaten des französischen Künstlers Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901), vor allem von der Flächigkeit der Silhouetten. Feiningers Figuren sind keine Individuen, sondern „Typen“ wie Arbeiter oder Frauen in extravaganter Garderobe, deren Mode aus der Zeit gefallen wirkt. Zum Beispiel tragen viele seiner männlichen Figuren Zylinderhüte. Die Figuren sind nicht statisch, sie befinden sich stets in Bewegung.

Les Regrets de M. Hearst, 1906
Erschienen in: Le Témoin I, Nr. 6, 24. November 1906
Der weiße Mann, 1907
Les Regrets de M. Hearst, 1906
Erschienen in: Le Témoin I, Nr. 6, 24. November 1906
Der weiße Mann, 1907

Mit seiner zukünftigen Frau, der Künstlerin Julia Berg (1880–1970), geht Feininger 1906 nach Paris, die lebendigste Kunststadt Europas. Sie ermutigt ihn, eine neue Karriere als Maler zu beginnen. Feininger arbeitet weiterhin als Karikaturist für die Zeitschrift „Le Témoin“ und zeichnet eine schlaksige Figur, die zur Vorlage für sein erstes malerisches Hauptwerk wird: „Der weiße Mann“ (1907). In dessen überlanger Gestalt steckt auch ein Selbstporträt Feiningers. Der Künstler bleibt sein Leben lang ein exzessiver Zeichner und arbeitet manchmal Monate oder Jahre später an Gemälden, deren Motive auf frühere Skizzen zurückgehen.

Karneval, 1908

Fünf kostümierte Figuren eilen nachts durch eine märchenhafte Stadt, anscheinend auf dem Weg zu ausschweifenden Festivitäten. Das Gemälde „Karneval“ gehört zu Feiningers „Mummenschanz“-Serie. Der Mummenschanz ist ein Spektakel mit ausgelassenem Treiben und Kostümierung. Die Teilnehmenden tragen dabei Masken, damit sie sich frei verhalten können und doch anonym bleiben. Durch seine Erfahrung als Karikaturist übersteigert Feininger hier die Realität und offenbart in diesem Werk sein Interesse für historische europäische Architektur. Obwohl die karnevalesken Typen unterschiedlich gestaltet sind, eint sie eine diagonal angelegte Körperhaltung, in der sie im Gleichklang vorwärtsstreben. Durch die Untersicht erzeugt Feininger eine Bilddynamik, die den Blick fesselt.

Karneval, 1908

Fünf kostümierte Figuren eilen nachts durch eine märchenhafte Stadt, anscheinend auf dem Weg zu ausschweifenden Festivitäten. Das Gemälde „Karneval“ gehört zu Feiningers „Mummenschanz“-Serie. Der Mummenschanz ist ein Spektakel mit ausgelassenem Treiben und Kostümierung. Die Teilnehmenden tragen dabei Masken, damit sie sich frei verhalten können und doch anonym bleiben. Durch seine Erfahrung als Karikaturist übersteigert Feininger hier die Realität und offenbart in diesem Werk sein Interesse für europäische Städte und mittelalterliche Historie. Obwohl die karnevalesken Typen unterschiedlich gestaltet sind, eint sie eine diagonal angelegte Körperhaltung, in der sie im Gleichklang vorwärtsstreben. Durch die Untersicht erzeugt Feininger eine Bilddynamik, die den Blick fesselt.

Utagawa Kuniyoshi, Emma’ō (Der König der Unterwelt), 1854

Japanische Holzschnitte, die Szenen aus dem Alltagsleben ebenso wie mythische Begebenheiten mit Dämonen und Geistern zeigen, erfreuen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonderer Beliebtheit. Sie werden in dieser Zeit „ukiyo-e“ (dt. Bilder der fließenden Welt) genannt. In dem Druck mit dem Titel „Emma’ō“ von Utagawa Kuniyoshi (1798 – 1861) urteilt der König der Unterwelt nach dessen Tod über den Schauspieler Ichikawa Danjuro VIII. Die Figuren in den „ukiyo-e“ sind immer von schwarzen Linien umrahmt und in kräftigen Farben ausgeführt, jedoch ohne eindeutige Lichtquelle oder Schattierungen und wirken somit flach. Im Gemälde „Karneval“ setzt Feininger ebendiese visuellen Techniken ein und verbindet Motive aus der Realität mit dem Märchenhaften.

Henri de Toulouse-Lautrec, Werbeplakat für „La Goulue“ im Moulin Rouge, 1891

Henri de Toulouse-Lautrec war Gestalter von Plakaten für das berühmt-berüchtigte Pariser Cabaret „Moulin Rouge“. Die Darstellung zeigt zwei der größten Stars des Hauses: die titelgebende „La Goulue“ − der Künstlername von Louise Weber − und ihren Tanzpartner Valentin le Désossé. In den Konturen der Figuren und den flächig eingesetzten Farben erkennt man den Einfluss japanischer Holzschnitte auf Toulouse-Lautrecs Ästhetik. Im Gegensatz zu deren geringer Tiefe weist sein Plakat jedoch einen eindeutigen Vorder-, Mittel- und Hintergrund auf sowie ein Spiel mit Licht und Schatten. Vergleichbar mit Feiningers Gemälde „Karneval“ sind die reduzierte Farbpalette, die Flächigkeit der Figuren und die Perspektive.

Utagawa Kuniyoshi, Emma’ō (Der König der Unterwelt), 1854

Japanische Holzschnitte, die Szenen aus dem Alltagsleben ebenso wie mythische Begebenheiten mit Dämonen und Geistern zeigen, erfreuen sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonderer Beliebtheit. Sie werden in dieser Zeit „ukiyo-e“ (dt. Bilder der fließenden Welt) genannt. In dem Druck mit dem Titel „Emma’ō“ von Utagawa Kuniyoshi (1798 – 1861) urteilt der König der Unterwelt nach dessen Tod über den Schauspieler Ichikawa Danjuro VIII. Die Figuren in den „ukiyo-e“ sind immer von schwarzen Linien umrahmt und in kräftigen Farben ausgeführt, jedoch ohne eindeutige Lichtquelle oder Schattierungen und wirken somit flach. Im Gemälde „Karneval“ setzt Feininger ebendiese visuellen Techniken ein und verbindet Motive aus der Realität mit dem Märchenhaften.

Henri de Toulouse-Lautrec, Werbeplakat für „La Goulue“ im Moulin Rouge, 1891

Henri de Toulouse-Lautrec war Gestalter von Plakaten für das berühmt-berüchtigte Pariser Cabaret „Moulin Rouge“. Die Darstellung zeigt zwei der größten Stars des Hauses: die titelgebende „La Goulue“ − der Künstlername von Louise Weber − und ihren Tanzpartner Valentin le Désossé. In den Konturen der Figuren und den flächig eingesetzten Farben erkennt man den Einfluss japanischer Holzschnitte auf Toulouse-Lautrecs Ästhetik. Im Gegensatz zu deren geringer Tiefe weist sein Plakat jedoch einen eindeutigen Vorder-, Mittel- und Hintergrund auf sowie ein Spiel mit Licht und Schatten. Vergleichbar mit Feiningers Gemälde „Karneval“ sind die reduzierte Farbpalette, die Flächigkeit der Figuren und die Perspektive.

„… dafür bin ich, daß ich solche Phantasien habe, eben Karikaturist, ein Mensch, der alles stärker empfindet als die vorgeschriebene Norm.“
LYONEL FEININGER –1905
„… dafür bin ich, daß ich solche Phantasien habe, eben Karikaturist, ein Mensch, der alles stärker empfindet als die vorgeschriebene Norm.“
LYONEL
FEININGER–1905
St. Louis, 1904, erschienen in: Lustige Blätter XIX, Nr. 26, 1904

Feininger arbeitet mehrere Jahre als erfolgreicher Karikaturist in Berlin, unter anderem für die Zeitschrift „Lustige Blätter“. Da seine Zeichnungen oft einen tagesaktuellen politischen Bezug haben, erschließt sich ihre Bedeutung heute nicht immer. Die Farblithografie „St. Louis“ thematisiert die Weltausstellung, die 1904 in St. Louis, Missouri, stattfindet – eine internationale Messe, auf der die teilnehmenden Staaten ihre aktuellen Errungenschaften vorstellen. Zur besagten Weltausstellung 1904 inszeniert Deutschland unter anderem aufwendige Bauten und präsentiert Jugendstilmöbel. Die deutsche Teilnahme ist mit hohen Kosten verbunden, daher zeigt die Freiheitsstatue in der ironischen Lithografie eine lange Rechnung und verlangt von dem aus dem Schatten zu ihr aufblickenden deutschen Besucher Eintritt.

Kapitel 2

ARCHITEKTUR

DAS AUSLOTEN

DES RAUMS

Kapitel 2

ARCHITEKTUR

DAS AUSLOTEN

DES RAUMS

Architekturbilder nehmen im Schaffen Feiningers einen herausragenden Platz ein. Insbesondere die Dörfer und mittelalterlichen Kirchen Thüringens dienen dem Künstler lebenslang als Inspirationsquelle für zahlreiche Werke. 

Wegweisend für Feininger wird sein Parisaufenthalt 1911, bei dem er die Stilrichtung des Kubismus kennenlernt. Die Kubist*innen zerlegen Motive, um gleichzeitig verschiedene Ansichten im Raum sowie die Bewegung von Gegenständen auf der Bildfläche wiederzugeben. Im Kubismus erkennt Feininger eine Möglichkeit, die Abbildhaftigkeit in der Kunst hinter sich zu lassen. In seinen lichtdurchfluteten Architekturdarstellungen geht es dem Künstler nicht nur um die Mehransichtigkeit eines Gegenstandes, sondern um eine konzentrierte Wiedergabe des Charakters, der Aura des jeweiligen Bauwerks. Feininger strebt damit spirituelle Erlebnisse an – so wie im Mittelalter die Menschen staunend vor einer Kathedrale gestanden haben.

Viele Gemälde haben ihren Ausgangspunkt in genauen Beobachtungen seiner Umgebung und Zeichnungen, die der Künstler in der Natur anfertigt. Er selbst bezeichnet diese Arbeitsweise als „Natur-Notizen“. Feininger entwickelt daraus oft erst Jahre später seine monumentalen Bildkompositionen. Er tastet sich allmählich an das Motiv heran, formt es gedanklich und hält es dann malerisch fest.

Zirchow VII, 1918
Zirchow VII, 1918

Feininger entdeckt die kleine Kirche von Zirchow mit ihrem gedrungenen Baukörper und einem kurzen, spitzen Turmhelm während eines seiner Sommeraufenthalte in Heringsdorf auf der Insel Usedom. 1918 inszeniert er sie als ein monumentales Bauwerk in geheimnisvollem Licht und tiefen Farben. Der Baukörper der Kirche besteht aus sich überlagernden, rhythmisch angeordneten Flächen. Durch geometrische Formen in Verbindung mit Farbabstufungen wird eine plastische Wirkung erzeugt. Die Anordnung der Flächen sowie die Farbnuancen, die unterschiedlichen Blautöne des Himmels, lassen den Eindruck entstehen, dass hier die Bewegung des Lichts im Laufe eines Tages festgehalten wird. So gelingt es Feininger, einen Zeitverlauf in einem statischen Bild darzustellen.  

„Je weiter ich kam, desto schöner waren die Dörfer.“
LYONEL
FEININGER–1913
„Je weiter ich kam, desto schöner waren die Dörfer.“
LYONEL FEININGER –1913

Feininger wird 1919 als erster Meister an das vom deutschen Architekten Walter Gropius (1883–1969) neu gegründete Staatliche Bauhaus in Weimar berufen und zieht mit seiner Familie dahin. Ab 1921 leitet er dort als künstlerischer Direktor die druckgrafische Werkstatt. Selbst künstlerisch tätig, schreibt sich Julia Feininger am Bauhaus ein und studiert zunächst vor allem in der Klasse ihres Mannes.

Obwohl das Bauhaus als Institution von 1919 bis 1933 nur 14 Jahre existiert, wird es zur bedeutendsten Schule für Architektur, Design und Kunst im 20. Jahrhundert. Als solche hat sie den Anspruch, nicht nur Gestaltung von Grund auf neu und zeitgemäß zu denken, sondern auch eine wichtige gesellschaftsverändernde Kraft zu werden.

Kathedrale (großer Stock), 1919
Titelblatt von Manifest und Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar

Die mittelalterliche Kirche ragt hoch auf. Der Fassadenaufriss ist durch die spitzen Doppeltürme und den Hauptturm über dem Mittelschiff geprägt. Die schwarze Druckfarbe unterstreicht die kristalline Wirkung des Bauwerks und seiner Umgebung. Dieser Holzschnitt von 1919 dient als Titelblatt für das Gründungsmanifest des Bauhauses, verfasst von Walter Gropius. Die von Lichtbahnen umgebene Kirche, deren Türme von drei Sternen bekrönt sind, steht symbolisch für das gemeinschaftliche Wirken aller Künste.

In seinem Manifest propagiert Gropius die Idee vom „neuen Bau der Zukunft“, der die zuvor an den Akademien getrennten Kunstgattungen – Architektur, Plastik und Malerei – vereinen soll. Für das Bauhaus-Programm spielt die romantisierte Vorstellung einer mittelalterlichen Bauhütte, in der Handwerker*innen eine Arbeitsgemeinschaft bilden, um ein gemeinsames Werk zu errichten, eine wichtige symbolische Rolle. Die Idee vom Bauhaus als einer Art „Bauhütte“ soll die Verbindung von Kunst und Handwerk sowie die Vereinigung aller Künste zu einem Gesamtkunstwerk versinnbildlichen.

Kathedrale (großer Stock), 1919
Titelblatt von Manifest und Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar

Die mittelalterliche Kirche ragt hoch auf. Der Fassadenaufriss ist durch die spitzen Doppeltürme und den Hauptturm über dem Mittelschiff geprägt. Die schwarze Druckfarbe unterstreicht die kristalline Wirkung des Bauwerks und seiner Umgebung. Dieser Holzschnitt von 1919 dient als Titelblatt für das Gründungsmanifest des Bauhauses, verfasst von Walter Gropius. Die von Lichtbahnen umgebene Kirche, deren Türme von drei Sternen bekrönt sind, steht symbolisch für das gemeinschaftliche Wirken aller Künste.

In seinem Manifest propagiert Gropius die Idee vom „neuen Bau der Zukunft“, der die zuvor an den Akademien getrennten Kunstgattungen – Architektur, Plastik und Malerei – vereinen soll. Für das Bauhaus-Programm spielt die romantisierte Vorstellung einer mittelalterlichen Bauhütte, in der Handwerker*innen eine Arbeitsgemeinschaft bilden, um ein gemeinsames Werk zu errichten, eine wichtige symbolische Rolle. Die Idee vom Bauhaus als einer Art „Bauhütte“ soll die Verbindung von Kunst und Handwerk sowie die Vereinigung aller Künste zu einem Gesamtkunstwerk versinnbildlichen.

Die Meister des Bauhauses auf dem Dach des Bauhaus-Gebäudes in Dessau (von links nach rechts): Josef Albers, Hinnerk Scheper, Georg Muche, László Moholoy-Nagy, Herbert Bayer, Joost Schmidt, Walter Gropius, Marcel Breuer, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, Gunta Stölzl und Oskar Schlemmer, 1926, Foto von Walter Gropius per Selbstauslöser

_ Innovative Lehre: Bauhaus

Walter Gropius, Schema zum Aufbau der Lehre am Bauhaus, 1923

Der Unterricht nach innovativen Konzepten hat eine zentrale Bedeutung für das Bauhaus. Das von Walter Gropius entwickelte Schema versinnbildlicht den ideellen Aufbau der Lehre, wobei der „Bau“ den Mittelpunkt aller Tätigkeiten markiert. Nur die Begabtesten sollen zur Baulehre zugelassen werden. Zu Beginn erhalten alle Studierenden im Rahmen der sogenannten Vorlehre eine Grundausbildung. Diese sieht ein zweckfreies Experimentieren mit Farbe, Form und Material vor. Anstelle des für Kunstakademien üblichen Kopierens von Vorlagen, schulen die Studierenden in der Gestaltung so ihre subjektive Empfindung. Auf die Vorlehre folgen bei persönlicher Eignung die praktische Arbeit in den Werkstätten (Werklehre) sowie die Formlehre. Diese Struktur der Ausbildung hat keine Vorläufer und wird von Gropius komplett neu erarbeitet. Dabei gelingt es ihm, renommierte Künstler wie beispielsweise Paul Klee und Wassily Kandinsky als Lehrende zu gewinnen. Diese sollen für die innovativen Impulse im Bereich der Werkstätten sorgen.

_ Innovative Lehre: Bauhaus

Walter Gropius, Schema zum Aufbau der Lehre am Bauhaus, 1923

Der Unterricht nach innovativen Konzepten hat eine zentrale Bedeutung für das Bauhaus. Das von Walter Gropius entwickelte Schema versinnbildlicht den ideellen Aufbau der Lehre, wobei der „Bau“ den Mittelpunkt aller Tätigkeiten markiert. Nur die Begabtesten sollen zur Baulehre zugelassen werden. Zu Beginn erhalten alle Studierenden im Rahmen der sogenannten Vorlehre eine Grundausbildung. Diese sieht ein zweckfreies Experimentieren mit Farbe, Form und Material vor. Anstelle des für Kunstakademien üblichen Kopierens von Vorlagen, schulen die Studierenden in der Gestaltung so ihre subjektive Empfindung. Auf die Vorlehre folgen bei persönlicher Eignung die praktische Arbeit in den Werkstätten (Werklehre) sowie die Formlehre. Diese Struktur der Ausbildung hat keine Vorläufer und wird von Gropius komplett neu erarbeitet. Dabei gelingt es ihm, renommierte Künstler wie beispielsweise Paul Klee und Wassily Kandinsky als Lehrende zu gewinnen. Diese sollen für die innovativen Impulse im Bereich der Werkstätten sorgen.

Feininger ist lebenslang der festen Überzeugung, dass Musik und Malerei zusammengehören. Die Musik begleitet ihn bereits seit der Kindheit. Seine Mutter, die Sängerin und Pianistin Elizabeth, geborene Lutz, und sein Vater, der bekannte Geiger und Komponist Karl Feininger, füllen ihr Haus mit klassischer Musik. Mit neun Jahren beginnt Feininger, bei seinem Vater Geigenunterricht zu nehmen. Mit 16 Jahren kommt er nach Deutschland, um am Königlichen Konservatorium der Musik zu Leipzig Violine zu studieren. Obwohl er sich letztendlich für die bildende Kunst entscheidet, bleibt die Musik eine wichtige Kraft in seinem künstlerischen Schaffen.

„Ohne die Musik könnte ich mich überhaupt nicht als Maler sehen.“
LYONEL FEININGER –1944

In Weimar lernt Feininger den Komponisten Hans Brönner kennen, der seine Bewunderung für die Fugen von Johann Sebastian Bach (1685–1750) teilt. Die Bachs Musik charakterisierenden Eigenschaften Struktur, Ordnung, Symmetrie, Strenge und Logik faszinieren Feininger ebenso wie der Kontrapunkt – ein musikalisches Prinzip, bei dem einer melodischen Abfolge eine weitere hinzugefügt wird. Beide Melodien haben dabei einen gegensätzlichen Verlauf, der nach strikten Regeln organisiert ist, sodass am Ende ein harmonischer Klang entsteht. Feininger selbst vergleicht seine Kunst mit der „Synthese der Fuge“, in der Harmonie und Dissonanz mit strengen Formen, Rhythmik sowie versetzten und übereinandergelegten Motiven koexistieren.

Feininger vergleicht seine Kunst mit der „Synthese der Fuge“.

Harmonie und Dissonanz koexistieren in seinen werken mit strengen Formen, Rhythmik und übereinandergelegten Motiven.

Der Künstler versucht sich sogar selbst im Komponieren: 1921 entsteht seine erste Fuge. Bis 1928 folgen 15 weitere. Obwohl einige dieser Stücke aufgeführt werden, wird nur die Fuge „Nr. VI“ zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Die Kritik lobt die Kraft von Feiningers Fugen. Feininger selbst ist jedoch von der öffentlichen Präsentation seiner Musik oft enttäuscht: Der Stil ihrer Ausführung erscheint ihm zu modern.

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„Fuge I“ (ausschnitt)

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„Fuge I“ (ausschnitt)

Feininger betrachtet die Technisierung der Künste sowie die Fotografie lange kritisch. Ende der 1920er-Jahre wendet er sich jedoch diesem Medium zu. Entscheidend dafür war nicht zuletzt die Tatsache, dass seine drei Söhne Andreas, Laurence und T. Lux zu dieser Zeit intensiv fotografieren. Feininger versteht die Fotografie als private Angelegenheit. Ohne Absicht, verkäufliche Resultate zu produzieren, gelingt es ihm, einen ganz eigenen fotografischen Stil zu entwickeln.

Sowohl in der Fotografie als auch in der Malerei greift der Künstler immer wieder ähnliche Motive auf. Dabei setzt er sich einerseits mit spezifischen Möglichkeiten des jeweiligen Mediums auseinander. Andererseits verfolgt er in der Fotografie ähnliche Ziele wie in all seinen Arbeiten: die Darstellung des Lichts, das Erschaffen rhythmischer Kompositionen und die Konzentration auf das Wesentliche.

Bauhaus-Gebäude Dessau, Nachtaufnahme von Nordost, 22. März 1929

Mit der Übersiedelung des Bauhauses nach Dessau 1925 verlässt Feininger Weimar und bezieht ein Jahr später mit seiner Familie eines der von Gropius für die Bauhaus-Meister errichteten Häuser. Das moderne Bauhaus-Gebäude dient oft als Kulisse für Aufnahmen des regen Schullebens. Nicht so bei Feininger: Er fotografiert vermutlich als Einziger die Schule mitten in der Nacht als stillen und menschenleeren Ort. Die atmosphärische Nachtaufnahme verwandelt die vertraute Umgebung in eine fremde Welt. Auch Feiningers Vorliebe für Hell-Dunkel-Kontraste sowie Schatten- und Formspiele kommt hier zum Ausdruck.

Beleuchtete Häuserzeile II, 1932

Der dunkle rechteckige Wohnblock in diesem wahrscheinlich nach einer Fotografie komponierten Nachtbild ist von beleuchteten Fenstern in abgestuftem Gelb durchbrochen. Das Spiel mit Hell und Dunkel innerhalb der Gebäudefassade des sonst unscheinbaren Wohnblocks weckt das Interesse des Künstlers während eines seiner abendlichen Streifzüge. Die Konturen des Gebäudes sowie die Umrisse der einzelnen Fenster erscheinen auf dem Gemälde etwas „verwischt“, als ob man beim schnellen Vorbeifahren auf die Szenerie blicken würde.

Bauhaus-Gebäude Dessau, Nachtaufnahme von Nordost, 22. März 1929

Mit der Übersiedelung des Bauhauses nach Dessau 1925 verlässt Feininger Weimar und bezieht ein Jahr später mit seiner Familie eines der von Gropius für die Bauhaus-Meister errichteten Häuser. Das moderne Bauhaus-Gebäude dient oft als Kulisse für Aufnahmen des regen Schullebens. Nicht so bei Feininger: Er fotografiert vermutlich als Einziger die Schule mitten in der Nacht als stillen und menschenleeren Ort. Die atmosphärische Nachtaufnahme verwandelt die vertraute Umgebung in eine fremde Welt. Auch Feiningers Vorliebe für Hell-Dunkel-Kontraste sowie Schatten- und Formspiele kommt hier zum Ausdruck.

Beleuchtete Häuserzeile II, 1932

Der dunkle rechteckige Wohnblock in diesem wahrscheinlich nach einer Fotografie komponierten Nachtbild ist von beleuchteten Fenstern in abgestuftem Gelb durchbrochen. Das Spiel mit Hell und Dunkel innerhalb der Gebäudefassade des sonst unscheinbaren Wohnblocks weckt das Interesse des Künstlers während eines seiner abendlichen Streifzüge. Die Konturen des Gebäudes sowie die Umrisse der einzelnen Fenster erscheinen auf dem Gemälde etwas „verwischt“, als ob man beim schnellen Vorbeifahren auf die Szenerie blicken würde.

GELMERODA: KLEINE KIRCHE, GOTISCHE KATHEDRALE

Eine bedeutende Werkserie Feiningers zeigt die Kirche im nahe Weimar gelegenen Dorf Gelmeroda (heute ein Ortsteil von Weimar). Erste Skizzen hierzu fertigt der Künstler bereits 1906 an und noch bis kurz vor seinem Tod widmet er sich der Darstellung dieses Bauwerks. 

Die Kirche von Gelmeroda mit ihrem markanten spitzen Turm, der 1830 zu dem in seinem Kern gotischen Baukörper hinzugefügt wurde, thematisiert Feininger in zehn Gemälden, mehr als 25 Zeichnungen und Skizzen, einer Radierung, 14 Holzschnitten und einer Lithografie. All diese Werke spiegeln die Herangehensweise Feiningers wider: Der Natureindruck bleibt für ihn Ausgangspunkt seiner Kunst. Zwischen 1906 und 1919 hält sich Feininger mehrfach in Weimar auf und fertigt direkt vor der Kirche zahlreiche seiner „Natur-Notizen“ an. Mit sicheren, schnellen Strichen fängt der Künstler das Gesehene ein und manchmal entwickelt er seine Zeichnungen erst Jahre später zu monumentalen Bildkompositionen.

Gelmeroda II, 1913

Feininger wählt für seine Darstellung die Ansicht des Bauwerks von Osten: So zeigt es sich dem Auge beim Erreichen des Dorfes. Die schmale Kirche mit ihrer langen dünnen Turmspitze ist hier vor einem kristallin aufgesplitterten Himmel abgebildet. Ihr kompositorisches Gegengewicht findet sie in einer hoch aufragenden Tanne rechts neben ihr. Die in Gelbnuancen gehaltene Darstellung wird durch die dunklen Elemente rhythmisiert. Ähnlich wie der Baum neigt sich der Kirchturm schräg nach rechts und verstärkt auf diese Weise die dynamisch-expressive Komposition des Bildes.

Gelmeroda III, 1913

Eine ganz andere Interpretation des Motivs: Die Kirche ist von der Seite zu sehen. Aus der vertikalen Mittelachse nach links verschoben erhebt sich der Turm. Seine Spitze ragt hoch auf. Das Bild ist in horizontale und vertikale Flächen zerlegt. Die Farbpalette, in einem kühlen Graublau gehalten, unterstreicht den erhabenen Eindruck der Architektur. Die Kirche wird hier nicht mehr mit der Tanne kontrastiert, sondern von Häusern gerahmt. Diese sowie schmale menschliche Figuren vor der Fassade verstärken die vertikale Ausrichtung des Hauptmotivs. Aus einer kleinen Dorfkirche wird hier eine mächtige Kathedrale, die statisch und monumental wirkt.

Gelmeroda, 1920

In diesem in Schwarz gedruckten Holzschnitt setzt der Künstler das Gesehene in abstrahierten Formen um. Der Baukörper der Kirche ist in geometrische Flächen zerlegt, alle Linien scheinen wie mit dem Lineal gezogen zu sein. Die Flächen greifen über die Architektur hinaus und bestimmen die Struktur des gesamten Bildraums. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Architektur und Umgebung ineinander verzahnt sind. Die kleine Dorfkirche wirkt immateriell wie eine kristalline Form inmitten eines Kosmos.

Gelmeroda XIII, 1936

Der Kirchturm, in bräunlich-weißen Tönen gehalten, erhebt sich vor einem blauen Himmel mit Akzenten in Lila. Das leuchtende Fenster im Turm ruft Assoziationen mit einem grünen Auge hervor. Am linken Bildrand ragt angeschnitten ein Baum in das Bild hinein. Die sich überlagernden Flächen der Komposition scheinen nahezu transparent zu sein. Dies deutet auf geistige Klarheit und Spiritualität. Der Künstler stellt somit nicht nur ein Gebäude im Raum dar, sondern greift metaphorisch die Beziehung des Menschen zum Metaphysischen auf. 

Gelmeroda, 1955

Die letzte bekannte Variation der Kirche von Gelmeroda – eine Lithografie – entsteht 1955. Deren Vorlage, eine Federzeichnung, kreiert Feininger ein Jahr zuvor. Der Kirchturm auf diesem geisterhaft wirkenden Bild erhebt sich in filigraner Leichtigkeit. Die aus feinen Linien und diffusen Farbflächen in Grau und Schwarz bestehende Darstellung vermittelt den Eindruck, dass wir dem Künstler beim Denken und Konstruieren seines Motivs zuschauen. Übertragen mag sie mit einer Erinnerung vergleichbar sein, die aus der Vergangenheit hervortretend zwar deutlicher, jedoch nie ganz greifbar wird.

„Es gibt nur eine Kunst – die zeitlose.“
LYONEL
FEININGER–1917
„Es gibt nur eine Kunst – die zeitlose.“
LYONEL
FEININGER–1917

_ rADTOUREN: UNABHÄNGIG uNTERWEGS

Lyonel Feininger, 1926

Das Fahrrad gewinnt seit Ende des 19. Jahrhunderts an Popularität. Die umständlichen Hochräder, die sich durch eine besondere Größe des Vorderrads auszeichnen und nur mittels der direkt auf der Radachse montierten Pedale zu bewegen sind, werden durch die bis heute verbreiteten „Niederräder“ ersetzt. Diese Entwicklung führt dazu, dass das Fahrrad in den 1920er-Jahren zu einem populären Verkehrsmittel avanciert. Für die Künstler*innen der Moderne wird es nicht nur zum Bildmotiv, sondern ebenso zum Fortbewegungsmittel, mit dem sie sich selbstbestimmt und unabhängig in der Natur bewegen können. Auf der Suche nach künstlerischen Anregungen erkundet auch der passionierte Radfahrer Feininger die Gegend auf einem modernen Rennrad. Dieses ermöglicht ihm, den Radius seiner Entdeckungstouren auszudehnen und in kurzer Zeit große Distanzen zu bewältigen. Der Künstler berichtet beispielsweise von einer Tagestour, bei der er „über zwanzig neue Ortschaften passiert“ und im Ganzen 68 Kilometer zurückgelegt habe. Eine beachtliche Distanz, bedenkt man die Beschaffenheit der Straßen und die technische Ausstattung der damaligen Fahrräder.

Kapitel 3

IN BEWEGUNG

BEGEISTERUNG FÜR

MOBILITÄT

Kapitel 3

IN BEWEGUNG

BEGEISTERUNG FÜR

MOBILITÄT

Feiningers Œuvre entfaltet sich nicht nur facettenreich, sondern ebenso dynamisch. Seine Arbeiten verändern sich ständig, während er unterschiedliche Medien und Formate erkundet.

In Feiningers Kindheit steckt das Maschinenzeitalter noch in den Kinderschuhen. Entwicklungen im öffentlichen Verkehr von New York City führen schon bald zu Hochbahnen, gezogen von mit Kohle betriebenen Lokomotiven, an die er sich lebhaft erinnert. Fahrzeuge mit ganz unterschiedlichen Antrieben tauchen als Motive in seinen Arbeiten auf. Jenseits seines Interesses für das rein Mechanische experimentiert er mit verschiedenen künstlerischen Techniken, um das flüchtige Moment von Bewegung wiederzugeben. 

_ Modellyachten im Central ParK

Vom Wind angetriebene Modellboote auf dem „Conservatory Water“ Teich im Central Park, New York

Seit Kindheitstagen ist Feiningers liebstes Hobby in New York das Segeln mit Modellbooten. 1875 ziehen die ersten Rennen Tausende Besucher*innen an das „Conservatory Water“, einen kleinen Teich im Central Park. Damals werden die Boote mithilfe von Stangen bewegt, das Rennergebnis ist dennoch eine Frage von Windrichtung und Glück. 1916 wird der offizielle „Central Park Model Yacht Club“ als Verein gegründet. Dieser ist bis heute aktiv und hält jeden Samstag Rennen im „Conservatory Water“ ab. Die Yachten werden immer noch vom Wind angetrieben, verfügen aber inzwischen über ferngesteuerte Ruder.

„Die frühesten Eindrücke von Maschinen waren die Züge, die Lokomotiven, halb furchterregend und ganz und gar faszinierend.“
LYONEL
FEININGER
Schären-Kreuzer, 1930

Die „Schären-Kreuzer“ gleiten durch eine leuchtende orangefarbene Wasserlandschaft. Schärenkreuzer sind Segelboote aus Holz, damals in der Ostsee sehr verbreitet, wo Feininger viele Sommermonate verbringt. Im Bild wird durch den Einsatz diagonaler Linien Bewegung in einer ansonsten statischen Szene angedeutet. Der Wasserpegel ist auf der rechten Seite etwas höher. Dies deutet auf Auftrieb hin, was wiederum das Gefühl ruhiger, gleichmäßiger Fahrt erzeugt.

Schären-Kreuzer, 1930

Die „Schären-Kreuzer“ gleiten durch eine leuchtende orangefarbene Wasserlandschaft. Schärenkreuzer sind Segelboote aus Holz, damals in der Ostsee sehr verbreitet, wo Feininger viele Sommermonate verbringt. Im Bild wird durch den Einsatz diagonaler Linien Bewegung in einer ansonsten statischen Szene angedeutet. Der Wasserpegel ist auf der rechten Seite etwas höher. Dies deutet auf Auftrieb hin, was wiederum das Gefühl ruhiger, gleichmäßige Fahrt erzeugt.

Die Radfahrer (Radrennen), 1912

„Die Radfahrer (Radrennen)“ ist Feiningers wohl buchstäblichste Darstellung von Bewegung. Selbst leidenschaftlich gern mit dem Rad unterwegs gibt er die Rennfahrer wieder, wie es nur ein Gleichgesinnter kann. Die Körper der Figuren bestehen aus Dreiecken und verdeutlichen, wie die erhöhten Sättel und niedrigen Lenkstangen von Rennrädern den Fahrern eine nach vorne gebeugte, aerodynamische Haltung verleihen, damit sie schneller fahren können. Die prismatische Konstruktion der Fahrradrahmen und die Körper der Figuren zeigen das nahezu vollständige Verschmelzen von Mensch und Sportgerät. Das Bild ist Feiningers viel beachteter Beitrag zum „Ersten Deutschen Herbstsalon“, einer umfassenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die 1913 in Berlin stattfindet.

„Die Radfahrer (Radrennen)“ ist Feiningers wohl buchstäblichste Darstellung von Bewegung. Selbst leidenschaftlich gern mit dem Rad unterwegs gibt er die Rennfahrer wieder, wie es nur ein Gleichgesinnter kann. Die Körper der Figuren bestehen aus Dreiecken und verdeutlichen, wie die erhöhten Sättel und niedrigen Lenkstangen von Rennrädern den Fahrern eine nach vorne gebeugte, aerodynamische Haltung verleihen, damit sie schneller fahren können. Die prismatische Konstruktion der Fahrradrahmen und die Körper der Figuren zeigen das nahezu vollständige Verschmelzen von Mensch und Sportgerät. Das Bild ist Feiningers viel beachteter Beitrag zum „Ersten Deutschen Herbstsalon“, einer umfassenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die 1913 in Berlin stattfindet.

Die Radfahrer (Radrennen), 1912
Die Stadt am Ende der Welt, 1925–1955

Ab 1919 schnitzt und konstruiert Feininger für seine drei Söhne fantasievolle Holzfiguren. Kleine bemalte Figuren agieren miteinander vor einer beschaulichen Häuserkulisse. Diese spielerische Schöpfung nennt er „Die Stadt am Ende der Welt“. Als Vorläufer für diese Spielzeugstadt gilt eine gleichnamige Gouache aus dem Jahr 1910, die in der Zeitschrift „Licht und Schatten“ abgedruckt wurde. Obwohl die Spielzeugfiguren zum Gebrauch gedacht sind, prägen sie starke Elemente von Melancholie und Weltflucht, worin sich Parallelen mit anderen Werken Feiningers zeigen. Seine Spielzeugstadt hat einen besonderen emotionalen Wert für den Künstler. Während seines Exils in New York schafft er noch weitere Figuren und Elemente für „Die Stadt am Ende der Welt“.

Die Stadt am Ende der Welt, 1925–1955

Ab 1919 schnitzt und konstruiert Feininger für seine drei Söhne fantasievolle Holzfiguren. Kleine bemalte Figuren agieren miteinander vor einer beschaulichen Häuserkulisse. Diese spielerische Schöpfung nennt er „Die Stadt am Ende der Welt“. Als Vorläufer für diese Spielzeugstadt gilt eine gleichnamige Gouache aus dem Jahr 1910, die in der Zeitschrift „Licht und Schatten“ abgedruckt wurde. Obwohl die Spielzeugfiguren zum Gebrauch gedacht sind, prägen sie starke Elemente von Melancholie und Weltflucht, worin sich Parallelen mit anderen Werken Feiningers zeigen. Seine Spielzeugstadt hat einen besonderen emotionalen Wert für den Künstler. Während seines Exils in New York schafft er noch weitere Figuren und Elemente für „Die Stadt am Ende der Welt“.

Das New York City aus Feiningers Kindheit muss Menschen heutzutage unvorstellbar erscheinen. Obwohl Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Wolkenkratzer hier errichtet werden, ist das Fortbewegungsmittel der Wahl damals noch immer die Pferdekutsche. Jenes New York, in das der Künstler später zurückkehrt, ist hingegen vom Automobil geprägt. „Bunte Lastwagen“ zeigt eine Straße in der nun modernen Stadt von oben und bildet die Abwesenheit von Bewegung ab: den Stau. Feininger selbst sieht darin weniger die realen Autos, sondern eine Komposition verschiedener Farben und Strukturen, eine fast abstrakte Sichtweise, wie sie bereits am Bauhaus gelehrt wurde.

Bunte Lastwagen, 1940er-/1950er-Jahre
Bunte Lastwagen, 1940er-/1950er-Jahre

Das New York City aus Feiningers Kindheit muss Menschen heutzutage unvorstellbar erscheinen. Obwohl Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Wolkenkratzer hier errichtet werden, ist das Fortbewegungsmittel der Wahl damals noch immer die Pferdekutsche. Jenes New York, in das der Künstler später zurückkehrt, ist hingegen vom Automobil geprägt. „Colored Trucks“ zeigt eine Straße in der nun modernen Stadt von oben und bildet die Abwesenheit von Bewegung ab: den Stau. Feininger selbst sieht darin weniger die realen Autos, sondern eine Komposition verschiedener Farben und Strukturen, eine fast abstrakte Sichtweise, wie sie bereits am Bauhaus gelehrt wurde.

Drei Lokomotiven und zwei Tender, um 1913/14
Die Eisenbahnbrücke, 1919
Drei Lokomotiven und zwei Tender, um 1913/14
Die Eisenbahnbrücke, 1919

Züge sind ein immer wiederkehrendes Motiv in Feiningers Schaffen. Für seine Arbeiten nutzt er unterschiedlichste Techniken. Links sehen wir „Drei Lokomotiven und zwei Tender“ – einen kurzlebigen Abstecher in die Spielzeugproduktion mittels seiner patentierten Block-Eisenbahn, die hier in einigen überlieferten Modellen zu sehen ist. Der Holzschnitt „Die Eisenbahnbrücke“ zeigt eine humorvoll-groteske Szenerie, in der ein Zug auf einem Viadukt oberhalb einer Stadt dahinzuckelt. Der Zug ähnelt sich dabei Feiningers Spielzeug-Lokomotive.

_ Feiningers Block-Eisenbahn

Die Pläne für seine Block-Eisenbahn kann Lyonel Feininger nie vollständig umsetzen, obwohl er 1913 einen Produktionsvertrag mit dem Münchner Spielzeughersteller Otto Löwenstein schließt. Feininger verbringt damals viele Monate getrennt von seiner Familie und fertigt für seine Block-Eisenbahn akribische Entwürfe in Aquarell an. Um die Herstellung zu optimieren und den Verkaufspreis zu reduzieren, entwickelt er einen Gleitklotz anstelle beweglicher Räder, die nur aufgemalt werden sollten. In Briefen an Julia jubelt er über die neu entdeckte, kindische Begeisterung und die persönliche Erfüllung, die ihm dieses Projekt gebracht habe. Feininger versucht tatsächlich Jung und Alt mit einem Gegenstand zu erfreuen, der sowohl Spielzeug für Kinder als auch nostalgischer Dekorationsgegenstand für Erwachsene sein soll. Es werden sogar bereits Verpackungen gedruckt mit der Aufschrift „Lyonel Feiningers Block-Eisenbahn, International. Modellgetreu. Unzerbrechlich“. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bereitet der Produktion ein jähes Ende. Obwohl seine persönliche Enttäuschung im Vergleich zu den unglaublichen Verlusten des Kriegs einen unwesentlichen Wermutstropfen darstellt, hängt diesem zerbrochenen Traum doch eine eigentümliche Traurigkeit an.

Kapitel 4

INSPIRIERT

DURCH DIE

NATUR

Kapitel 4

INSPIRIERT

DURCH DIE

NATUR

Die Ostsee mit dem Treiben der Fischer und den raschen Wetterwechseln wird zu einem beliebten Motiv Feiningers. Der Künstler findet einen besonderen Reiz in der Schönheit des Meeres und seiner Dünenlandschaften.

Feininger, der überwiegend in Großstädten lebt, verbringt über viele Jahre den Sommer manchmal alleine, manchmal mit der Familie an der Ostsee. Beginnend 1892 besucht er immer wieder die Insel Rügen. 1905 fertigt er gemeinsam mit Julia Feininger Zeichnungen im nordöstlich der Stadt Rostock gelegenen Ostseebad Rega an. Ab 1908 wird der mondäne Badeort Heringsdorf auf der Insel Usedom zu seinem favorisierten Sommerquartier. Hier skizziert er Personen am Strand, die er später in seinen Gemälden verarbeitet.

Badende am Strand I, 1912

Bunt gekleidete Badende an Land und im Wasser sind zu abstrahierten Figuren stilisiert. Der Strand, das Meer sowie der Himmel füllen in drei nahezu gleich breiten und parallel verlaufenden Streifen das Gemälde aus. Die horizontale Ausrichtung des Himmels wird durch Segelschiffe am Horizont unterbrochen. Hier sucht Feininger im Kontrast unterschiedlicher Formen und Strukturen nach neuen bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten.

Die Darstellung der Badenden basiert auf Beobachtungen, die der Künstler zuvor in seinen „Natur-Notizen“ festgehalten hat. So übernimmt er die Haltungen einiger Figuren auf diesem Gemälde von einer Skizze, die 1911 in Heringsdorf entstanden ist und eine zufällige Ansammlung von Menschen zeigt.

Badende am Strand I, 1912

Bunt gekleidete Badende an Land und im Wasser sind zu abstrahierten Figuren stilisiert. Der Strand, das Meer sowie der Himmel füllen in drei nahezu gleich breiten und parallel verlaufenden Streifen das Gemälde aus. Die horizontale Ausrichtung des Himmels wird durch Segelschiffe am Horizont unterbrochen. Hier sucht Feininger im Kontrast unterschiedlicher Formen und Strukturen nach neuen bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten.

Die Darstellung der Badenden basiert auf Beobachtungen, die der Künstler zuvor in seinen „Natur-Notizen“ festgehalten hat. So übernimmt er die Haltungen einiger Figuren auf diesem Gemälde von einer Skizze, die 1911 in Heringsdorf entstanden ist und eine zufällige Ansammlung von Menschen zeigt.

NAHE DEM BADEORT DEEP entdeckt feininger einen scheinbar endlosen strand.

 Er wird zu motivischer Vorlage für seine Seebilder der folgenden Jahre. 

1924 fährt Feininger mit der Familie zum ersten Mal nach Deep, einem Badeort an der Mündung des Flusses Rega in die Ostsee (heute Mrzeżyno in Polen). Er entdeckt in dieser Gegend einen scheinbar endlosen und unberührten Küstenabschnitt. Der Strand, die hügelige Dünenlandschaft und die schroffe Steilküste werden zu motivischen Vorlagen für seine Seebilder der folgenden Jahre. In diesen greift der Künstler Themen wie Leere, Weite und Einsamkeit des Menschen auf und versucht, durch die Darstellung subtiler Raum- und Lichterlebnisse eine spirituelle Dimension in die Werke hineinzubringen, wie er es bereits in den Darstellungen von Kirchen in anderer Form visualisiert hat. 

Düne am Abend, 1936

Eine menschenleere Strandszene mit niedrigem Horizont, Dünen und angedeuteten Wolken sowie einer winzigen schematisierten Figur im Vordergrund ruft Assoziationen mit der Malerei der deutschen Romantik, insbesondere mit Werken Caspar David Friedrichs (1774–1840), hervor. In einem Brief an seinen Sohn T. Lux Feininger erwähnt der Künstler außerdem rückblickend, die Bedeutung des britischen Landschaftsmalers Joseph Mallord William Turner (1775–1851) für sein „Verständnis für Licht und Schatten, magischen Raum, Spiegelungen auf dem Wasser und in der Atmosphäre“.

Eine menschenleere Strandszene mit niedrigem Horizont, Dünen und angedeuteten Wolken sowie einer winzigen schematisierten Figur im Vordergrund ruft Assoziationen mit der Malerei der deutschen Romantik, insbesondere mit Werken Caspar David Friedrichs (1774–1840), hervor. In einem Brief an seinen Sohn T. Lux Feininger erwähnt der Künstler außerdem rückblickend, die Bedeutung des britischen Landschaftsmalers Joseph Mallord William Turner (1775–1851) für sein „Verständnis für Licht und Schatten, magischen Raum, Spiegelungen auf dem Wasser und in der Atmosphäre“.

Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810

Schon der erste Blick auf die Gemälde von Feininger und Friedrich offenbart eine Verwandtschaft der Motive, obwohl Feininger selbst angibt, das Werk Friedrichs erst später bewusst wahrgenommen zu haben. Der Mensch ist in beiden Bildern mit der Weite der Natur konfrontiert, wobei der Unterschied in der Gestaltung der kosmischen Dimensionen liegt. Friedrich stellt die Natur als überwältigende Gegenwelt zur Zivilisation dar, die in den Betrachtenden zugleich das Empfinden von Erstaunen und Ehrfurcht auslösen soll. Der durchaus bedrohlich wirkende Himmel auf seinem Gemälde erscheint unendlich. Bei Feininger hingegen schneidet die Dünenlandschaft die Perspektive ins Unendliche etwas ab. Und wenn bei Friedrich die Kleinheit der Figur die Unermesslichkeit des Raumes unterstreicht, ist die ebenfalls winzige Figur im Gemälde Feiningers durch ihre Farbigkeit und Flächigkeit sichtbarer und dadurch bedeutsamer.

Joseph Mallord William Turner, Die letzte Fahrt der Temeraire, 1838

Feininger begegnet den Werken Turners zum ersten Mal 1908 in London. Turner interessiert sich zu seiner Zeit leidenschaftlich für die Verschiedenheit der Atmosphäre an all den Orten, die er bereist. In seiner Landschaftsmalerei verfolgt er das Ziel, nicht deren objektive Gegebenheiten, sondern seinen Eindruck von ihnen wiederzugeben. Feininger schätzt diese Herangehensweise Turners. Die atmosphärische Dichte des Raums sowie die subtilen Lichtsituationen auf Feiningers Gemälde erinnern an die Werke des Engländers. Dessen Gemälde „Die letzte Fahrt der Temeraire“ zeigt vor dem Hintergrund eines Sonnenuntergangs den Segler HMS Temeraire auf der Themse bei London. Das ehemalige Kriegsschiff, das hier mit seiner weiß-goldenen Lackierung nahezu geisterhaft erscheint und von einem modernen Dampfer zum Abwracken geschleppt wird, kann als Metapher für technischen Fortschritt sowie Vergänglichkeit gedeutet werden.

„Ich bin von Veranlagung real … aber dabei sehr romantisch, rein subjektiv.“
LYONEL
FEININGER – 1905
Allee, 1915
Bäume und Straßenlaterne bei Nacht, Burgkühnauer Allee, Dessau, 1928

Konstellationen aus Bäumen und Licht wecken immer wieder das Interesse Feiningers. Er arbeitet solche Motive in verschiedenen Medien heraus. Im Gemälde „Allee“ führt ein Weg schräg durch dicht aufragende Bäume. Diagonalen zerlegen die Bildfläche. Ein komplexes Liniengeflecht bildet in diesem Raster ein Mosaik aus hellen und dunklen Flächen. Erst in ihrer Gesamtheit bilden sie ein erkennbares Motiv. Auf der Allee ist ein einsamer Spaziergänger in eher unnatürlicher Pose wie erstarrt. Seine Verortung ergibt sich in der Komposition, indem seine Figur die Verlängerung eines Leerraums zwischen zwei Bäumen nach unten bildet.

Auf dem 13 Jahre später in Dessau nahe seinem Wohnhaus entstandenen Foto ist der Bildraum ebenfalls durch Baumstämme gegliedert und durch starke Hell-Dunkel-Kontraste gekennzeichnet. Das intensive Gegenlicht, dessen Quelle vom zentralen Baumstamm verdeckt bleibt, bricht sich in der dunstigen Luft und flutet so einen größeren kreisförmigen Bereich mit seiner Aura. Die Nachtaufnahme lässt die vertraute Umgebung des Künstlers fremdartig und geheimnisvoll erscheinen.

Kapitel 5

LEERSTELLEN

das LEBEN

IM EXIL

Kapitel 5

LEERSTELLEN

das LEBEN

IM EXIL

Selbst in Zeiten von Freude und Erfolg ist Feininger von Schatten verfolgt. 1937 flieht er aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die USA. Plötzlich hat der Schatten eine neue Form und einen Namen: Exil.

Der US-Amerikaner Feininger ist in Deutschland als Künstler äußerst erfolgreich. Als das nationalsozialistische Regime an die Macht kommt, wird er jedoch wie viele Künstler*innen der Moderne als „entarteter“ Künstler eingestuft und seine Frau Julia Feininger als Jüdin verfolgt. Ohne Arbeitsmöglichkeit und in Angst um ihr Leben gehen die Feiningers 1937 ins Exil und fliehen nach New York City.

„Menschen mit Sehnsucht verstehen mich.“
LYONEL
FEININGER–1917
„Menschen mit Sehnsucht verstehen mich.“
LYONEL
FEININGER–1917

Feiningers Rückkehr nach New York gestaltet sich als weit entfernt von einem erträumten Nach-Hause-Kommen. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als das NS-Regime ihn diffamiert. Nach 50 Jahren in Europa erscheint ihm das New York, das er nun erlebt, als fremder Ort. Ihm fehlt die Unterstützung seines über Jahrzehnte aufgebauten Netzwerks. Auch finanziell haben Julia Feininger und er am Anfang des Exils zu kämpfen. Sein Heimweh nach Deutschland findet in seinen Arbeiten Ausdruck, indem er etliche Motive der Vergangenheit wiederholt – etwa die Kirche von Gelmeroda. Obwohl sein neues Leben in New York teilweise sehr belastend für ihn ist, findet er Inspiration in der Skyline von Manhattan, die er mehrfach bildlich verarbeitet. Schließlich präsentiert das MoMA 1944 eine Retrospektive seiner Arbeiten und ihm gelingt auch in New York der Erfolg als Künstler.

_ Julia Feininger

Julia und Lyonel Feininger im Atelier des Meister-Doppelhauses, Dessau, auf der Staffelei das Gemälde „Der Pulverturm I”, 1927

Julia Feininger ist die einzige wahre Konstante in Lyonels Leben. 1905 lernt er die Künstlerin Julia Berg (geb. Lilienfeld) in Berlin kennen. Beide sind sie zu diesem Zeitpunkt verheiratet; beide lassen sich von ihren Ehepartnern scheiden und Julia bringt kurz darauf ihren ersten gemeinsamen Sohn Andreas zur Welt. 1908 heiratet das Paar und bekommt zwei weitere Söhne – 1909 Laurence und 1910 T. Lux. Obwohl Julia eine talentierte Künstlerin ist – und ebendies Feininger ursprünglich anzieht –, gibt sie ihre Karriere auf, um sich um die Kinder zu kümmern und ihren Mann zu unterstützen. Diese Entscheidung kann heutzutage kritisch betrachtet werden, doch führen sie und Lyonel eine Beziehung auf Augenhöhe. Ihre Unterstützung bietet Feininger wichtigen Rückhalt, was man in ihrem ständigen Briefverkehr lesen kann. Er empfindet Liebe und Respekt für Julia, die seine ganze Karriere stark beeinflusst und den Künstler dazu motiviert, die Malerei für sich zu entdecken.

_ Julia Feininger

Julia und Lyonel Feininger im Atelier des Meister-Doppelhauses, Dessau, auf der Staffelei das Gemälde „Der Pulverturm I”, 1927

Julia Feininger ist die einzige wahre Konstante in Lyonels Leben. 1905 lernt er die Künstlerin Julia Berg (geb. Lilienfeld) in Berlin kennen. Beide sind sie zu diesem Zeitpunkt verheiratet; beide lassen sich von ihren Ehepartnern scheiden und Julia bringt kurz darauf ihren ersten gemeinsamen Sohn Andreas zur Welt. 1908 heiratet das Paar und bekommt zwei weitere Söhne – 1909 Laurence und 1910 T. Lux. Obwohl Julia eine talentierte Künstlerin ist – und ebendies Feininger ursprünglich anzieht –, gibt sie ihre Karriere auf, um sich um die Kinder zu kümmern und ihren Mann zu unterstützen. Diese Entscheidung kann heutzutage kritisch betrachtet werden, doch führen sie und Lyonel eine Beziehung auf Augenhöhe. Ihre Unterstützung bietet Feininger wichtigen Rückhalt, was man in ihrem ständigen Briefverkehr lesen kann. Er empfindet Liebe und Respekt für Julia, die seine ganze Karriere stark beeinflusst und den Künstler dazu motiviert, die Malerei für sich zu entdecken.

Weg im Tannenwald, 1918

Hohe Bäume flankieren die Seiten einer durch den Waldweg geschaffenen Schneise. Der Himmel ist klar und weist die Form einer zerklüfteten Scherbe auf. Eine winzige Figur im Vordergrund wird von der umgebenden Dunkelheit eingehüllt. „Weg im Tannenwald“ vermittelt ein Gefühl der Einsamkeit. Zur Entstehungszeit des Holzschnitts ist der Erste Weltkrieg gerade zu Ende. Während des Kriegs ist Feininger verpflichtet gewesen, sich als „Angehöriger eines Feindeslandes“ wöchentlich bei der Polizei zu melden. „Weg im Tannenwald“ spiegelt womöglich Feiningers eigene Isolation und Entfremdung während dieser Zeit wider.

Manhattan I, 1940

„Manhattan I“ gehört zu seiner Serie dystopischer Darstellungen von New York. Die Gebäude an beiden Seiten der Straßenschlucht wirken wackelig und baufällig. Das Gelb ist nicht sonnig, sondern erscheint giftig. Das Braun sieht eher unheilvoll, statt warm und erdig aus. Der blaue Himmel ist zwar zu erkennen, wird jedoch größtenteils von einer länglichen Wolke verdeckt. Vielleicht sind es die Abgase und der Smog des unablässigen New Yorker Verkehrs, die den Himmel trüben?

New York, 24th Street, 1940er-/1950er-Jahre

Das New Yorker Exil stellt Feininger nicht nur menschlich, sondern auch künstlerisch vor neue Herausforderungen. Diese überwältigende Stadt zu malen, erscheint ihm kompliziert und anknüpfend an frühere Fotografien greift er jetzt zu deren moderner Weiterentwicklung: zu farbigen Dias. Wie bereits in vielen älteren Gemälden, Fotos und Holzschnitten komponiert Feininger Durchblicke zwischen hoch aufragenden Gebäuden und erzielt nun mit Büro- oder Wohnhochhäusern einen ähnlichen Effekt wie einst mit europäischen Kirchen. In Untersicht wirkt die Architektur riesig und erhaben. Es geht nicht um die Abbildung von Details, sondern um Strukturen und Gesamtwirkung.

Weg im Tannenwald, 1918

Hohe Bäume flankieren die Seiten einer durch den Waldweg geschaffenen Schneise. Der Himmel ist klar und weist die Form einer zerklüfteten Scherbe auf. Eine winzige Figur im Vordergrund wird von der umgebenden Dunkelheit eingehüllt. „Weg im Tannenwald“ vermittelt ein Gefühl der Einsamkeit. Zur Entstehungszeit des Holzschnitts ist der Erste Weltkrieg gerade zu Ende. Während des Kriegs ist Feininger verpflichtet gewesen, sich als „Angehöriger eines Feindeslandes“ wöchentlich bei der Polizei zu melden. „Weg im Tannenwald“ spiegelt womöglich Feiningers eigene Isolation und Entfremdung während dieser Zeit wider.

Manhattan I, 1940

„Manhattan I“ gehört zu seiner Serie dystopischer Darstellungen von New York. Die Gebäude an beiden Seiten der Straßenschlucht wirken wackelig und baufällig. Das Gelb ist nicht sonnig, sondern erscheint giftig. Das Braun sieht eher unheilvoll, statt warm und erdig aus. Der blaue Himmel ist zwar zu erkennen, wird jedoch größtenteils von einer länglichen Wolke verdeckt. Vielleicht sind es die Abgase und der Smog des unablässigen New Yorker Verkehrs, die den Himmel trüben?

New York, 24th Street, 1940er-/1950er-Jahre

Das New Yorker Exil stellt Feininger nicht nur menschlich, sondern auch künstlerisch vor neue Herausforderungen. Diese überwältigende Stadt zu malen, erscheint ihm kompliziert und anknüpfend an frühere Fotografien greift er jetzt zu deren moderner Weiterentwicklung: zu farbigen Dias. Wie bereits in vielen älteren Gemälden, Fotos und Holzschnitten komponiert Feininger Durchblicke zwischen hoch aufragenden Gebäuden und erzielt nun mit Büro- oder Wohnhochhäusern einen ähnlichen Effekt wie einst mit europäischen Kirchen. In Untersicht wirkt die Architektur riesig und erhaben. Es geht nicht um die Abbildung von Details, sondern um Strukturen und Gesamtwirkung.

Die entschwindende Stunde, 1951/52

„Die entschwindende Stunde“

– schon der Titel des Gemäldes verrät etwas zu Feiningers Denkweise. Zwischen Tag und Nacht liegt die Dämmerung, ein Schwellenzeitraum. 

In diesem Werk sieht der Himmel so aus, als ob er in rötlichen Flammen aufgeht. Er kontrastiert mit den Gebäuden in kühlen graublauen Tönen. Die schwarzen Fenster des gestaltlosen Komplexes wirken leer und unbewohnt. Es scheint, als habe Feininger in diesem Bild seine Erinnerungen an Europa verarbeitet. Bei vielen Werken sind die jeweiligen Orte im Titel angegeben, für andere wiederum wählt er eher assoziative Titel wie bei „Die entschwindende Stunde“. Ist das New York? Berlin? Dessau? Das ist nirgendwo. Das ist Exil.

_ „Entartete“ Kunst

Ausstellung „Entartete Kunst“, 1937

1933 beginnt das NS-Regime seine Kampagne gegen sogenannte „entartete“ Kunst. Deren Definition ist bewusst vage gehalten, kann jedoch mehr oder minder willkürlich jedem Werk zugeschrieben werden, das nicht den Ideologien und der Ästhetik des Nationalsozialismus entspricht. Moderne Kunst gilt als Bedrohung des Regimes. Künstler*innen der Moderne, besonders jene jüdischer Herkunft, verfolgt das System fortan und entfernt ihre Arbeiten aus den Museen. Werke einiger der größten Künstler*innen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts verkauft und versteigert man. Über 400 von Feiningers Werken werden aus Sammlungen und Museen in Deutschland unter Zwang entfernt. 1937 findet im Archäologischen Institut in den Münchner Hofgartenarkaden die erste Station der diffamierenden Wanderausstellung „Entartete Kunst“ statt. In diesem Foto ist Feiningers irrtümlich als „Teltow“ verzeichnetes Ölbild „Hopfgarten“ zu sehen. Etliche Gemälde Feiningers sind im Rahmen der Femeschau gezeigt worden, etwa „Gelmeroda III“.

SCHLUSS

Die Ausstellung in der SCHIRN zeigt mit über 160 Gemälden, Zeichnungen, Karikaturen, Aquarellen, Holzschnitten, Fotografien und Objekten einen weit gefächerten Überblick über Lyonel Feiningers Œuvre und bildet wichtige Themen ab, die sein Schaffen wie rote Fäden durchziehen. Der Künstler hat zeit seines Lebens bewusst das Gegensätzliche in seinen Arbeiten zugelassen. Mal ernst und nachdenklich, mal spielerisch-leicht, mal tiefgründig-melancholisch – sein Gesamtwerk ist sowohl aus inhaltlicher wie aus formeller Sicht außergewöhnlich facettenreich und voller Überraschungen, die bis heute faszinieren.

Geheimtipp

Drei gespenstisch wirkende, in rauchigen Aquarelltönen und mit flüchtigen Umrissen wiedergegebene Figuren haben sich zu einem mysteriösen Treffen zusammengefunden. Diese „Verständnisvollen Galerie-Besucher“ sind Teil von Feiningers Serie „Ghosties“. Er schuf solche „Fingerübungen“ während seines New Yorker Exils als Zeichen der Zuneigung für geliebte Menschen. Diese „Geisterchen“ nehmen die Umrisse seiner Spielzeugfiguren wieder auf. Sie stehen einerseits für Feiningers humorvollen Blick auf seine Umgebung, verkörpern jedoch zugleich den Drang des sicheren Zeichners, weiterhin ästhetisch zu experimentieren.

Verständnisvolle Galerie-Besucher, um 1952
Verständnisvolle Galerie-Besucher, um 1952

Drei gespenstisch wirkende, in rauchigen Aquarelltönen und mit flüchtigen Umrissen wiedergegebene Figuren haben sich zu einem mysteriösen Treffen zusammengefunden. Diese „Verständnisvollen Galerie-Besucher“ sind Teil von Feiningers Serie „Ghosties“. Er schuf solche „Fingerübungen“ während seines New Yorker Exils als Zeichen der Zuneigung für geliebte Menschen. Diese „Geisterchen“ nehmen die Umrisse seiner Spielzeugfiguren wieder auf. Sie stehen einerseits für Feiningers humorvollen Blick auf seine Umgebung, verkörpern jedoch zugleich den Drang des sicheren Zeichners, weiterhin ästhetisch zu experimentieren.

Entdecken Sie das Gesamtwerk dieses Ausnahmekünstlers – BIS 18. FEBRUAR 2024 in der großen Retrospektive der
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT